A plate with a pasta dish next to a wine bottle and a glass of red wine on a set table
Foto: Janko Ferlič

Als mich vor vielen Jahren ein Kochbuch über schlesische Küche fand, erinnerten viele Gerichte an etwas, dass ich als Kind im Bergischen Land in den 60er und 70er Jahren erfahren hatte. Ich erinnere mich an Gerichte aus dieser Zeit, die offenbar auf jüdische und auch schlesische Rezepttraditionen zurückgehen. In der Geschichte des Kochens und verschiedenster Esskulturen gibt es viel mehr Gemeinsamkeiten als Alleinstellungsmerkmale. Deshalb koche ich gerne, beschäftige mich mit der Herkunft der Gerichte und mit Geschichten rund ums Kochen und schreibe darüber - es gibt darin mehr, das uns verbindet als uns trennt.

Ich hab jahrelang vermieden, Fleisch selbst zuzubereiten. Meine Vollzeit berufstätige Mutter hat an ihren freien Wochenenden am Sonntag meist Schmorgerichte gemacht. Sie war ein Kriegskind vom hessischen Land, in den 50er Jahren zur Krankenschwesternausbildung in Frankfurt. Nach dem Krieg fand die Familie - noch ohne mich - eine Notwohnung und Arbeit im Bergischen. Ich wurde als spätes, viertes Kind geboren.

Wir gehörten zur Arbeiterklasse im industriellen Bergischen Städtedreieck: harte Arbeit und sonntags musste Fleisch auf den Tisch. Mit Kartoffeln. Oder Klößen (die dann leider durch wachsende Fertiggerichtgewohnheiten aus einer Pappschachtel kamen und genauso schmeckten). Und irgendwas mit Gemüse - Rotkohl aus dem Glas meistens. Und immer, einfach an jedem Schmorgerichtssonntag war das Fleisch angebrannt, was irgendwie zum Aroma gehörte. Ich wollte einfach kein angebranntes Fleisch mehr essen und hab deshalb jahrelang keins zubereitet.

Zur Ehrenrettung der ansonsten wenig ausgeprägten Kochkünste meiner Mutter: Ihre traditionellen Rinderrouladen waren meist gelungen. Gefüllt mit Senf, Speck, Gewürzgurke - ein schlesischer Einfluss. Ich habe überhaupt nichts gegen deftige Hausmannskost und Schmorgerichte, im Gegenteil. Aber es heißt anbraten - nicht anbrennen. Tatsächlich habe ich erst mit Ende 20 gewagt, ein Stück Fleisch kleinzuschneiden und ein Geschnetzeltes zuzubereiten. Vom Resultat möchte ich hier nichts berichten. Aus Gründen - aber viele Jahre später kann ich es, wirklich ...

In den 90ern war ich dem allgemeinen Trend zu erhöhtem Convinience-Konsum ausgeliefert wie viele. Keine richtige Küche, kaum vernünftige Kochutensilien und 14-Stunden Arbeitstage. Viele Dienstreisen, häufig Essen in Restaurants und Hotels. Der Mann, mit dem ich bis Mitte dieses Jahrzehnts fast elf Jahre zusammen war, bereitete oft eine Hackfleisch-Tomaten-Sahne-Soße für Nudeln zu. Liebe macht blind und offenbar auch geschmacksdesorientiert, deshalb fand ich seine Soße selbstverständlich toll - und bin dankbar, dass ich seitdem in jeder Hinsicht dazu gelernt hab. Und so geht es von schlesischen Rouladen über die Geschichte meiner Arbeiterfamilie und einer schlechten Nudelsoße zu einem sehr schmackhaften italienischen Schmorgericht.

Projekt: Ragu alla Bolognese

Bolognese für Pasta (und Lasagne!) ist kein Schnellgericht. Nichts, das in 20 Minuten auf dem Tisch steht. So, wie ich sie koche, hat es mir Anfang der 90er Jahre eine italienische Herbergs-Mama in den Dolomiten gezeigt. Sie hat für die 30 Gäste ihrer Pension gekocht - daher meine Maßlosigkeit bei diesem Rezept.

Bei mir kommt hinein:
Wurzelgemüse, geputzt, geschält, klein geschnitten - welches Gemüse, richtet sich nach dem Angebot. Auch fertig zusammengestelltes, abgepacktes Suppengemüse ist gut. Sellerie muss sein. Ich nehme Stangensellerie (der ehrliche, dicke Knollensellerie geht natürlich auch). Zwiebeln nicht vergessen (die sind beim Suppengemüsepaket üblicherweise nicht dabei).
Getrocknete Steinpilze: eine großzügige Handvoll, in 1/4 l heißem Wasser eingeweicht.
Frische Champignons: nach Belieben, maximal 250 g.
Knoblauch: muss hinein, nach Geschmack 1 bis 4 Zehen
Tomaten: Nein. Oder wenn doch: ganz am Schluss, wenn das Essen serviert wird und die Pasta gerade fertig ist, ein paar geviertelte Cocktail-Tomaten ins heiße Ragout werfen.
Tomatenmark: eine halbe Tube der handelsüblichen Größe.
Puderzucker (doch, wirklich) - 1 gestrichener TL.
Hackfleisch. Auch das ist Geschmackssache. Rind, Schwein, halb und nalb - jeder, wie er mag, 600 g.
Bouquet garni: Kräuter - 2, 3 Zweige von allem, das Saison hat, mit Küchengarn bündeln.
Mengenverhältnis der Zutaten: ungefähr doppelt so viel geschnippeltes Gemüse wie Fleisch.
Und dazu noch: Lorbeerblatt
Salz, Pfeffer, Worcestershiresauce - nach Belieben ein Spritzer Tabasco oder Chiliflocken.
Olivenöl und Butter zum Anbraten.
Parmesan
Wir brauchen außerdem zwei Flaschen eines kräftigen, italienischen Rotweins, den wir mögen.

So geht's
Wenn ich Champignons verwende, sind diese zuerst dran: je nach Größe halbiert oder geviertelt, werden sie in Portionen in Butter angebraten, bis sie leicht bräunen, mit wenig Salz und Pfeffer gewürzt während des Bratens und auf einem Teller beiseite gestellt. Danach den Topf auswischen.

Gibt's keine Pilze, fange ich mit dem Fleisch an, oder es geht nach den Pilzen weiter damit. Im selben Topf, den wir ausgewischt haben: In mehreren kleinen Portionen wird es in Olivenöl geröstet. Beim Braten mit Salz und Pfeffer würzen. Ist der Topf zu voll, wird das Fleisch in der austretenden Flüssigkeit gekocht statt gebräunt. Mehrere Portionen anbraten, erfordert etwas Zeit. Jede fertige Portion wartet in einer Schüssel.

Dann folgt das Gemüse, das im Gegensatz zum Fleisch komplett im Topf landet, mit mehr Olivenöl angedünstet und allmählich gart, während die Flüssigkeit verdampft. Ganz am Ende den gehackten Knoblauch hinzugeben - wenn er zu früh mit angebraten wird, wird er schwarz und bitter. Dann kommt das geröstete Fleisch wieder hinzu und alles wird gut vermengt.

In der Mitte des Topfes ein wenig Platz machen für das Tomatenmark. Es röstet und karamellisiert - daher kommt der tomatige Geschmack am Ende, ganz ohne Tomaten. Zwei, drei Prisen Puderzucker helfen dabei und intensivieren den Geschmack. Sobald das Tomatenmark untergerührt ist, kommen die eingeweichten Steinpilze mitsamt Einweichflüssigkeit hinzu und werden gut untergerührt.

Nun den Inhalt einer Flasche Rotweins dazugeben und die Flüssigkeit bei großer Hitze deutlich reduzieren lassen; das Kräuterbündel und das Lorbeerblatt hinzugeben, die Hitze herunterschalten auf niedrigste Stufe, alles noch einmal gut durchrühren, Deckel auf den Topf und das Ganze für die nächsten eineinhalb, zwei Stunden sich selbst überlassen.

Dann Kräuter entfernen und die Soße abschmecken mit Salz, Pfeffer, Worcestershiresauce und gegebenenfalls noch mit weiteren Kräutern wie Rosmarin und Estragon.

Die Nudeln zu dieser dicken, gehaltvollen Soße sollten kurz und am besten spiralförmig sein. Jede Form ist geeignet, die Soßen gut aufnimmt, eher keine Spaghetti. Außerdem kommt jetzt die zweite Flasche des Rotweins ins Spiel, mit dem wir gekocht haben - die gibts zum Essen.

Wer noch was Frisches dazu mag: Ein einfacher, grüner Salat mit Vinaigrette passt am besten dazu.

Santé, wohl bekomm's, lasst es Euch schmecken!

Meine liebste, vegetarische Variante: Statt Hackfleisch zwei große oder drei kleinere Auberginen klein Würfeln und anbraten in reichlich Olivenöl, dabei gut salzen und Pfeffern. Genauso verfahren, wie beim Fleisch beschrieben und die gebratenen Auberginenwürfel am Ende zum restlichen Gemüse wieder in den Topf geben.

Resteverwertung:
Einfrieren in kleinen Portionen und bei schlechtem Wetter (oder richtig schlechter Laune) aus der Tiefkühltruhe klauben, erwärmen und pures Glück zu frisch gekochten Nudeln genießen. Oder zuvor auf dem Heimweg beim besten arabischen Bäcker frisches Fladenbrot dafür mitnehmen.

Fun Fact:
Mit dem mutmaßlichen Originalrezept des Ragù Bolognese hat meine Soße wenig gemein. Am 17. Oktober 1982 hat es die Accademia Italiana della Cucina bei der Handelskammer von Bologna hinterlegt. Es wird mit Hackfleisch, Pancetta, wenig Wurzelgemüse, geschälten Tomaten, Gemüsebrühe, etwas Milch und ein wenig Weißwein zubereitet.