Drumsticks on a snare drum.
Foto: Brent Ninaber

Vor 40 Jahren erschienen: das kleine Album einer großen Band

1982 veröffentlichte die Band Carmel auf dem unabhängigen Label Red Flame ein erstes Minialbum mit sechs Titeln. Können, Talent und die ernsthafte Leidenschaft des Trios begeisterten und Carmel wurde zum Geheimtipp. Leider. Denn der weltweite Erfolg blieb aus, der Geheimtippstatus hat bis heute Bestand. Der Carmel-Stil war eine einzigartige Fusion von Jazz, Blues, Gospel und afrikanischen Rhythmen.

Die britische Sängerin Carmel McCourt gründete 1981 in Manchester mit dem Bassisten Jim Parris sowie dem Schlagzeuger und Perkussionisten Gerry Darby ihre Band. Parris und Darby gehören zu den besten Instrumentalisten der Popgeschichte und erzeugten auf der Bühne zu McCourts kraftvoller Stimme den Klang eines viel größeren Ensembles.

In Londoner Clubs hatte damals ein Musikjahrzehnt begonnen, das bis heute nachhallt. Nichts ging mehr ohne Saxophon, New Jazz war gekommen, um in stets wiederkehrenden Variationen zu bleiben – wenn auch viele der Protagonisten von damals vergessen sind. Wer erinnert sich noch an Everything But The Girl oder Style Council?

Blue Rondo A La Turk war eine der ersten Gruppen, die Anfang der 80er mit einem Mix aus lateinamerikanischen Einflüssen und Orchesterklängen der 50er Jahre experimentierten. Drei ihrer Mitglieder gründeten schließlich Matt Bianco, deren Debüt-Album "Whose Side Are You On?" 1984 den Ton der Zeit traf. Zwar überwogen Synthesizer Töne, aber das Saxophon spielte für die Aufnahmen der damals legendäre Baritonsaxophonspieler Ronnie Ross.

Gruppen wie Working Week und Swing Out Sister ebneten den Weg für weltumspannende Karrieren wie die von Sade. Sades Demoband, mit dem sie unter anderem den späteren Welthit "Smooth Operator" vorstellte, war zunächst von allen Plattenfirmen abgelehnt worden. Begründung: zu jazzig.

Madonna hat von Carmel McCourt nicht nur den Look kopiert, sondern möglicherweise auch erkannt, wie wichtig gute Hintergrundsänger*innen sowohl live als auch für die Studioarbeit sind. Zweifelsfrei hat Madonna Louise Ciccone hart für ihren Erfolg gearbeitet. Sie wurde bei exakter Planung jeden Karriereschrittes und ständiger Kontrolle über das eigene Image zur kommerziell erfolgreichsten Künstlerin bis heute.

Aber Carmel muss die Sängerin gewesen sein, die Madonna gerne gewesen wäre. Zum Ende des New Jazz Jahrzehnts veröffentlichte Madonna 1990 das Album "I’m Breathless", ein Soundtrack zur grellen Dick Tracy Comic Verfilmung, in der sie die Nachtclub Sängerin Breathless Mahoney darstellt.

Dieses Madonna-Album ist ein einziges Zitat der 20er- und 30er-Jahre Broadway Shows, von Latin und Swing, klingt nach Matt Bianco und Swing Out Sister. Es gibt perfekt geschriebene Titel (unter anderem von Stephen Sondheim), von exzellenten Jazz-Musikern perfekt gespielt und perfekt produziert. Trotz der harten Arbeit und großer Virtuosität, die hineingeflossen sind, muten die Tracks doch zu glatt und seltsam seelenlos an. Es sind nur Kopien.

Und Carmel zu Beginn des Jahrzehnts? Das Original! 1983 kam die Band nach einem ausverkauften Auftritt im legendären Ronnie Scotts Jazz-Club bei London Records unter Vertrag. Mit „Bad Day“ erreichte sie einen 15. Platz in den UK Single Charts. Für das gospelähnliche Arrangement holte die Band sich Unterstützung von den famosen Background-Sängerinnen Rush Winters und Helen Watson.

McCourt singt ihr eigenes Echo

Ihr 1984er Album, das erste mit dem London Records Label „The Drum is Everything“ platzierte sich in den britischen Charts unter den ersten 20. Zusätzlich zu Bass, Perkussion, Schlagzeug und Carmels Stimme wurden die Songs nun mit Hammond Orgel und Horn arrangiert und erreichen mit den Background Vocals von Shirley Laidley, Helen Watson und Rush Winters ein von anderen New Jazz Künstlern unerreichtes Volumen. Hier eindrucksvoll nachzuhören:

More More More

Im selben Jahr wurde die Band beim Jazz-Festival im sizilianischen Medina als beste Jazz-Interpreten des Jahres ausgezeichnet.

In Frankreich hatte Carmel 1986 einen Hit im Duett mit Johnny Hallyday, "J'oublierai ton nom". Das im gleichen Jahr folgende, zweite Album, The Falling, war auch deshalb vor allem in Frankreich erfolgreich. Hier verkaufte sich die erste Single-Auskopplung „Sally“ allein 500.000 Mal.

The Falling und das folgende Album, Everybody's Got A Little Soul, waren kommerziell und bei Kritikern erfolgreich. Viele Produzenten suchten die Zusammenarbeit mit der Band. Aber die weltweite Anerkennung blieb aus. Dabei hatte das Trio in Frankreich, Belgien, Deutschland und der Schweiz größere Erfolge als in Ihrer Heimat Großbritannien.

Für die Band selbst waren Live-Auftritte mindestens so bedeutend wie die Arbeit an neuen Alben. Ihre Qualität beweisen sie hier mit The Falling 1986 bei einem Auftritt in der italienischen Fernsehshow D.O.C., die von 1987 bis 1989 beim Sender RAI 2 ausgestrahlt wurde. McCourt wechselt mühelos zwischen tiefem Alt und Mezzosopran und zitiert Joy Divisions "Love will tear us apart again". Die Band erhält Szenenapplaus.

The Falling

Auch das fünfte Album, Set me Free (1989), hat mit dem französisch-englisch gesungenen "Je Suis Tombee Amoureuse" wieder eine Hommage an die zwischenzeitliche Wahlheimat der Sängerin und das französische Publikum. Das gesamte Album klingt nach einer Band im Umbruch, als suche sie nach einem neuen Klang. Oder lag es an den insgesamt zwölf beteiligten Produzenten?

Das Cover "You can have him" bekommt enorme Power von wummernden 80er-Synthesizer Klängen. Der Track „I’m over you“ ist nicht nur ein selbstbewusster Abgesang auf den Ex, es wirkt wie ein poppiger Abschied vom Jahrzehnt des New Jazz, das bald hinter Carmel liegen würde.

I'm Over You

Während der neunziger Jahre lebten die Mitglieder der Band verstreut in Paris, Barcelona und Manchester. Dennoch gelang ihnen die Zusammenarbeit an weiteren Plattenproduktionen.

Für die nächsten Alben folge ein Wechsel von London Records zum Label EastWest: Good News (1992) und das letzte Studioalbum der Band, World’s Gone Crazy (1995).

1997 nahm die Band ein Live-Album auf an dem Ort, wo alles begonnen hatte: Live at Ronnie Scotts ist eine Sammlung ihrer gemeinsamen Arbeit seit Beginn der achtziger Jahre und einiger bis dahin unveröffentlichter Stücke.

Anfang 2000 verließ Gerry Darby die Band. Bassist Jim Parris und Carmel McCourt gingen 2002 mit dem alten Material und einer größeren Band auf Tournee. Daraus resultierte 2004 eine Live-DVD.

Carmels Bandgeschichte wurde weiter geschrieben. Immer noch unter diesem Namen arbeiteten McCourt und Parris weiter zusammen. Ende 2011 veröffentlichten sie ein überraschendes Album, auf dem die Sängerin zehn Edith Piaf Chansons covert, Strictly Piaf.

Mit einer neu formierten Band, den Piaf Liedern und dem Material aus alten Carmel Alben tritt McCourt 2012 wieder live auf. In einem Interview freut sie sich auf die Auftritte:

"It will be wonderful to work with the new musicians. They are all great in their own right and it will be so sweet to hear the many songs that Gerry Darby, Jim Paris and I wrote together in the years spanning the 1980s and the 1990s." - "Es wird wunderbar sein, mit den neuen Musikern zusammenzuarbeiten. Sie sind alle großartig und es wird so super sein, die vielen Songs zu hören, die Gerry Darby, Jim Paris und ich in den 1980er und 1990er Jahren gemeinsam geschrieben haben."

2013 touren sie gemeinsam durch Deutschland und die Schweiz und präsentieren dabei auch einige von McCourts neu geschriebenen Titeln. Die erste Single mit dieser neuen Band erscheint 2015 mit den Stücken Sad Situation und Second Wife Blues. Mit 57 Jahren mag die Kraft in McCourts Stimme etwas nachgelassen haben, aber die Sängerin weiß genau, wie sie ihr Instrument einsetzen kann. Ihre Technik ist und bleibt perfekt.

Carmel hat den Blues

(Am Ende eines weiteren Musikjahrzehnts: Die damals 60-jährige Madonna trat im Mai 2019 beim Eurovision Song Contest in Tel Aviv auf. Mit Bombast, Glitzerbrokat, Augenklappe und umgeben von zig Tänzern traf sie bei „Like a Prayer“, das seit über 30 Jahren zu ihrem Repertoire gehört, keinen Ton. Für die Vorstellung eines Titels aus einem neuen Album im Anschluss an dieses Desaster war von Vornherein ein Autotune-Effekt geplant. Der half auch nicht.)