A plate with a pasta dish next to a wine bottle and a glass of red wine on a set table
Foto: Janko Ferlič / Unsplash

Als mich vor ein paar Jahren ein Kochbuch über jüdische Küche fand, erinnerten viele Gerichte mich an etwas, dass ich als Kind einer evangelischen Familie im Bergischen Land in den 60ger und 70ger Jahren erfahren hatte. Ich erinnere mich an Gerichte aus dieser Zeit, die offenbar auf jüdische und auch schlesiche Rezepttraditionen zurück gehen. In der Geschichte des Kochens und der Esskultur gibt es viel mehr Verbindendes als Trennendes. Deshalb koch ich gerne und beschäftige mich mit dem Thema "Essen" - es gibt mehr, das uns verbindet als uns trennt.

Ich hab es jahrelang vermieden, Fleisch selbst zuzubereiten. Meine Mutter hat an ihren freien Wochenenden am Sonntag meist Schmorgerichte gemacht. Sie war ein Kriegskind (vom hessischen Land), in den 50-ger Jahren zur Krankenschwesternausbildung in Frankfurt. Nach dem Krieg fand die Familie - meine Eltern, eine Tochter, zwei Söhne (mich gabs noch nicht) - eine Notwohnung und Arbeit im Bergischen. Ich wurde als spätes, viertes Kind geboren.

Wir gehörten zur Wirtschaftswunderarbeiterklasse im Bergischen Industrie-Dreieck. Dies bedeutete harte Arbeit und weniger Wunder. Sonntag musste Fleisch auf den Tisch. Mit Kartoffeln. Oder Klößen (die dann leider durch wachsende Fertiggerichtgewohnheiten aus einer Pappschachtel kamen und genauso schmeckten). Und irgendwas mit Gemüse - Rotkohl aus dem Glas meistens. Und immer, einfach an jedem Schmorgerichtssonntag war das Fleisch angebrannt, was irgendwie zum Aroma gehörte. Ich wollte einfach kein angebranntes Fleisch essen und hab deshalb jahrelang keins zubereitet.

Aber, zur Ehrenrettung der Kochkünste meiner Mutter: ihre traditonellen Rinderrouladen waren immer gelungen und gut. Gefüllt mit Senf, Speck, Gewürzgurke - ein schlesischer Einfluss, über den ich rätsel.

Ich habe überhaupt nichts gegen deftige Hausmannskost und Schmorgerichte. Im Gegenteil. Gibts an kaltgrauen Wintertagen eine wärmendere Sonne auf dem Tisch als ein stundenlang gesimmertes Ragout? Aber anbraten - nicht anbrennen.

Tatsächlich habe ich erst mit Ende 20 gewagt, eine Hühnerbrust klein zu schneiden und ein Geschnetzeltes zu braten. Na ja, von dem Resultat möchte ich hier nichts berichten. Aus Gründen - aber viele Jahre später kann ich es, wirklich...

In den 90-gern war ich dem allgemeinen Trend zu erhöhtem "Convinience"-Konsum ausgeliefert wie viele. Keine richtige Küche, kaum vernünftige Kochutensilien und 14-Stunden Arbeitstage. Viele Dienstreisen, häufig Essen in Restaurants und Hotels. Ein Mann, mit dem ich bis Mitte dieses Jahrzehnts fast elf Jahre zusammen war, braute mir oft eine Hackfleisch-Tomaten-Sahne-Soße zu Nudeln zusammen. Liebe macht blind und offenbar auch geschmacksdesorientiert, deshalb fand ich seine Soße selbstverständlich toll - ich bin so froh, dass ich seitdem dazu gelernt hab.

Wochenendprojekt: Ragu alla Bolognese

Bolognese für Pasta (und Lasagne!) ist kein Schnellgericht. Nichts, das in 20 Minuten auf dem Tisch steht. Wenn ich mal wieder "Bollo" kochen möchte, plane ich ganz groß. Einen Riesentopf. Den größten, den ich habe. Und beim Einkaufen Freitagabend nach der Arbeit, freue ich mich aufs Wochenende und das Einfrieren vieler, kleiner Portionen. So, wie ich das Ragu koche, hat es mir Anfang der 90-ger Jahre eine italienische Herbergs-Mama in den Dolomiten gezeigt. Sie hat für die 30 Gäste ihrer Pension gekocht - daher meine Maßlosigkeit bei diesem Rezept.

Bei mir kommt hinein:
Wurzelgemüse, geputzt, geschält, klein geschnitten - welches Gemüse, richtet sich nach dem Angebot. Auch fertig zusammengestelltes, abgepacktes Suppengemüse ist gut. Sellerie muss sein. Ich nehme Stangensellerie (der ehrliche, dicke Knollensellerie geht natürlich auch). Zwiebeln nicht vergessen (die sind beim Suppengemüsepaket üblicherweise nicht dabei).
Getrocknete Steinpilze: eine großzügige faustvoll, in 1/4 l lauwarmen Wasser eingeweicht.
Frische Champignons: nach belieben, wenns welche gibt - maximal 250 g
Knoblauch: muss. Aber nicht verbrennen lassen, das gibt einen bittere Note - nach Geschmack, 1 bis 4 Zehen
Tomaten: Nein. Oder wenn doch: ganz am Schluss, wenn das Essen serviert wird und die Pasta gerade fertig ist, ein paar geviertelte Cocktail-Tomaten ins heiße Ragout werfen.
Tomatenmark: ja, genau (nein, keine Tomaten) - eine halbe Tube der handelsüblichen Größe
Puderzucker (doch, wirklich) - ein gestrichener TL
Hackfleisch. Auch das ist Geschmackssache. Rind, Schwein, Halb und Halb - jeder, wie er mag. Ich gebe gerne dafür mehr aus und nehme Tartar, die magere, hochwertige Rinderhackvariante und grundsätzlich Bioqualität - 600 g
Bouquet garni: Kräuter - zwei, drei Zweige von allem, das Saison hat, mit Küchengarn zum Bündel fixieren. Oder in ein spezielles Sieb dafür stopfen, wenn man hat - wie ein überdimensioniertes Tee-Ei kann es in den Topf gehängt werden.
Mengenverhältnis der Zutaten: ungefähr doppelt so viel geschnibbeltes Gemüse wie Fleisch.
Und dazu noch: Lorbeerblatt
Salz, Pfeffer, Worcestersauce - nach belieben ein Spritzer Tabasco oder Chiliflocken.
Olivenöl und Butter zum Anbraten
Parmesan: ja klar, zum Servieren und genießen
Wir brauchen außerdem zwei Flaschen eines kraftvollen, italienischen Rotweins, den wir mögen.

Wenn ich Champignons verwende, sind sie als erstes dran: je nach Größe halbiert oder geviertelt, werden sie in Portionen in Butter angebraten, bis sie leicht bräunen, mit wenig Salz und Pfeffer gewürzt während des Bratens und auf einem Teller beiseite gestellt. Danach den Topf auswischen.

Gibt's keine Pilze, fange ich mit dem Fleisch an, oder es geht nach den Pilzen weiter damit. Im selben Topf, den wir ausgewischt haben: In mehreren kleinen Portionen wird es angebraten in Olivenöl, richtig geröstet. Beim Braten mit Salz und Pfeffer würzen. Alles auf einmal in den heißen Topf schmeißen führt dazu, dass das Fleisch in der austretenden Flüssigkeit gekocht wird und zäh, statt dass es röstet. Und die Röstaromen sind es, die wir am Topfboden kleben haben wollen.
All die kleinen Portionen anbraten, kann eine halbe oder dreiviertel Stunde dauern, wenn es ein große Fleischmenge ist - s.o., Ragout geht nun mal nicht fix. Das geröstete Fleisch wartet in einer Schüssel. Portion um Portion kommt hinein.

Nun zum Gemüse, das im Gegensatz zum Fleisch komplett im Topf landet und (wieder mit Olivenöl) angedünstet wird. Anders als beim Fleisch, ist hier die austretende Flüssigkeit gewünscht. Beim Dünsten in großer Hitze schaue ich zu, wie das Gemüse weich wird und gart, während die Flüssigkeit verdampft. Ganz am Ende den gehackten Knoblauch hinzu geben - wenn er zu früh mit angebraten wird, wird er schwarz und bitter. Dann kommt das geröstete Fleisch wieder hinzu und alles wird gut vermengt.
Nun: in der Mitte des Topfes, wo der Boden am heißesten ist, ein bisschen Platz machen für das Tomatenmark. Es röstet und karamelisiert - daher kommt der tomatige Geschmack am Ende, ganz ohne Tomaten. Zwei, drei Prisen Puderzucker helfen dabei und intensivieren den Geschmack. Sobald das Tomatenmark untergerührt ist, kommen die eingeweichten Steinpilze mitsamt Einweichflüssigkeit hinzu und werden gut untergerührt.

Nun den Inhalt einer Flasche Rotweins dazu, das Bouquet garni, das Lorbeerblatt, die Flüssigkeit bei großer Hitze etwas reduzieren lassen, die Hitze herunterschalten auf niedrigste Stufe, alles noch einmal gut durchrühren, Deckel auf den Topf und das Ganze für die nächsten eineinhalb, zwei Stunden sich selbst überlassen.

Na gut, ich gebe zu: ich muss einfach hin und wieder den Deckel anheben und dran schnuppern. Einmal mit dem Kochlöffel durch diesen kulinarischen Luxus drehen - aber dann kommt der Deckel wieder drauf und ich mache die Küche sauber, entsorge die Abfälle, Räume die Spülmaschine ein. Und warte geduldig. Irgendwann schalte ich die Herdplatte ab, füge die gebratenen Champignons zum Ragout, rühre alles um und mache dann was anderes. (Im Sommer: der Topf kommt nach dem Abkühlen in den Kühlschrank oder den kalten Keller. Im Winter: küche kalt - Topf kann auf dem Herd bleiben. Küche geheizt: Topf in den Kühlschrank!)

Am nächsten Tag: Ich entferne das Kräuterbündel und erwärme die üppige Soße. Jetzt kann ich abschmecken mit Salz, Pfeffer, Worcestersauce und, wenn ich meine, es kann noch was vertragen, mit Kräutern wie Rosmarin und Estragon. (Ihr braucht keinen Garten und nicht zig Blumentöpfe - getrocknete Kräuter sind ein prima Vorrat und gut!) Wer mag, kann natürlich mit Tabasco oder Chiliflocken Schärfe hineinbringen.

Die Nudeln zu dieser dicken, gehaltvollen Soße sollten kurz und am besten spiralförmig sein. Jede Form ist geeignet, die Soßen gut aufnimmt, aber keine Spaghetti. Außerdem kommt jetzt die zweite Flasche des Rotweins ins Spiel, mit dem wir gekocht haben - die gibts zum Essen.

Wer mag: geriebenen Parmesan darüber. Wer noch was frisches dazu mag: Ein einfacher, grüner Salat mit Vinaigrette passt am besten dazu. Da die Soße schon so üppig und rund ist, würden schwere Salate mit vielen Zutaten nicht passen.

Santé, wohl bekomm's, lasst es Euch schmecken!

Meine liebste, vegetarische Variante: Statt Hackfleisch zwei große oder drei kleinere Auberginen klein Würfeln und anbraten in reichlich Olivenöl, dabei gut salzen und Pfeffern. Genauso verfahren, wie beim Fleisch beschrieben - Auberginen in einer Schüsel warten lassen und am Ende wieder hinzugeben.

Resteverwertung:
Einfrieren in kleinen Portionen und bei schlechtem Wetter (oder richtig schlechter Laune) aus der Tiefkühltruhe klauben, erwärmen und pures Glück zu frisch gekochten Nudeln genießen. Oder zuvor auf dem Heimweg beim besten Araber frisches Fladenbrot mitnehmen und ohne Besteck Brot und Ragu - Ihr wisst schon, mit den Fingern... Sieht ja keiner...

Und Fun Fact:
Mit dem Originalrezept des Ragù Bolognese hat meine Soße tatsächlich nichts mehr gemein. Am 17. Oktober 1982 hat die Accademia Italiana della Cucina bei der Handelskammer von Bologna das Originalrezept hinterlegt. Es wird mit Hackfleisch, Pancetta, wenig Wurzelgemüse, geschälten Tomaten, Gemüsebrühe sowie mit ein wenig Weißwein und Milch zubereitet. Demnächst hier, versprochen.