time lapse photo of French press
Photo: Rachel Brenner

Tütensuppe ist kalter Kaffee

Soßen und Suppen haben ohne Brühe keine Basis. Um einen Fond selbst zu kochen, braucht es neben den vielen Zutaten auch viel Zeit fürs Schneiden, Köcheln, Schaum abschöpfen und Klären nach stundenlangem Simmern. Natürlich lohnt es sich und kleinere Portionen können wunderbar eingefroren werden, um später Eintöpfe und Ragouts mit viel Aroma zu bereichern.

Aber ohne Vorrat eine kleinere Menge Brühe fürs Abendessen, das in einer halben Stunde auf dem Tisch stehen soll? Der amerikanische, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Chefkoch und Gastronom Michael Mina hat seinen Trick dafür vor einigen Jahren während einer Koch-Show gezeigt und seitdem weiß ich nicht mehr, was ich davor eigentlich gemacht hab, um an eine schnelle Brühe zu kommen. Das Instrument für seine Expressbrühe: die Französische Stempelkanne. Aromageber, heißes Wasser, ein paar Minuten Geduld - et voilà: Heiße Brühe jemand?

Michael Minas Credo in der Küche ist die Balance der Aromen in einem Gericht: sauer, süß, scharf und fett. Es geht ihm nicht darum, sich exakt dem Diktat zu beugen. Keine Zitronen mehr - dann nach einer anderen säurehaltigen Zutat suchen. Keine Butter mehr? Probier es mit Avocado. Süß heißt nicht immer Zucker, eher Honig oder Melasse. Entscheidend ist am Ende der harmonische Gesamtgeschmack. Nicht jedes Gericht muss alle vier Geschmacksrichtungen enthalten, nur die Balance aller in einem Gericht verwendeten Aromen ist entscheidend.

In Minas Restaurants wird die Presskanne mit bereits fertig zubereitetem Fond verwendet. Da dieser stundenlang köchelt, würden zarte Kräuter wie Basilikum oder Estragon bitter, würden sie von Beginn an mitkochen. Sie kommen stattdessen frisch in die Kanne, der heiße Fond hinzu und fertig ist nach einigen Minuten die Suppe eines Chefkochs. Bei uns gibts die Hobbykochvariante, die - mit ein wenig Vorbereitung - jeder hinbekommt. Hartes Gemüse wie Zwiebeln, Fenchel oder Möhren werden fein geschnitten statt vorgekocht, Knoblauch und Ingwer gehackt oder gepresst, Kräuter zerrupft. Was von der Brühe übrig bleibt, hält sich ein paar Tage im Kühlschrank oder kann in Eiswürfelbehältern eingefroren werden.

Beispiel für eine schnelle Nudelsuppe

Ramen- oder Glasnudeln nach Packungsangabe garen und auf zwei Suppentassen verteilen. In jede Tasse nun gewünschte Zutaten geben: geraspelte oder hauchdünn gehobelte Möhren, Radieschenscheiben, Frühlingszwiebelringe, Scheiben von Champignons oder Shiitake-Pilzen, Sprossen, möglicherweise Fleischreste vom Vortag, in kleine Stücke geschnitten oder gezupft, ein mittelhartgekochtes, halbiertes Ei - es lässt sich alles ganz nach Geschmack kombinieren.

In die Stempelkanne nun getrocknete Shiitakepilze (es geht auch mit allen anderen getrockneten Pilzen), etwas getrockneten Rosmarin und Thymian geben, eine gehackte Schalotte oder kleine Zwiebel, zwei bis drei Stiele Petersilie, ein paar angedrückte Pfefferkörner und nach Geschmack ein paar Chiliflocken sowie ein klein wenig Öl. Mit kochendem Wasser übergießen, kurz umrühren und den Deckel auf die Kanne setzen, aber noch nicht herunterpressen. Die Zutaten in der Kanne 5 bis 8 Minuten ziehen lassen, noch einmal umrühren, dann den Stempel herunterpressen. Über die Zutaten in den Suppenschalen geben und genießen.

Eine andere Variante, die wunderbar zu pochiertem Fisch und Gemüse passt: In angewärmten, tiefen Tellern angerichtet wartet alles nur kurz auf die Brühe. Hierfür in der Stempelkanne sehr dünne Fenchelscheiben, etwas Orangenschale, eine grob gehackte Knoblauchzehe, ein halbes Glas Wein oder Pernod, einige angedrückte Pfefferkörner, ein paar Safranfäden und vier bis fünf kleine Cocktail- oder Kirschtomaten mit kochendem Wasser übergießen, umrühren und ein paar Minuten warten, alles herunterpressen und schon kann eine edle Fischsuppe angerichtet werden.

Die einfachste Variante der Brühe aus der Stempelkanne für einfach alles: eine zerdrückte Knoblauchzehe, ein etwa doppelt so großes Stück Ingwer hacken (es muss nicht geschält werden) und eine gehackte Schalotte. Entweder so, oder noch einige angedrückte Pfefferkörner und Cocktailtomaten dazu. Wer braucht da noch Tütensuppe?

Einfach mal mit eigenen Zutaten und Ideen ausprobieren. Mich überrascht und freut das aromareiche Ergebnis immer wieder.

white ceramic bowl on table
Photo: Ruthy Yang